Der Berg Kynthos ist die höchste Erhebung auf der Kykladeninsel Delos (etwa 140 Kilometer südöstlich von Athen, Griechenland). Er ist eine der wichtigsten Stätten der griechischen Mythologie und aus diesem Grund auch von der UNESCO als Weltkulturerbe unter Schutz gestellt. Delos war neben Delphi und Olympia das dritte panhellenische Heiligtum. Höhe: 112 Meter. Der Kynthosgipfel ist der beherrschende Punkt der nur 3,5 Quadrakilometer großen Insel Delos, die schon im 3. Jahrtausend v.Chr. besiedelt war und ca. 1000 v.Chr. aufgrund ihrer beherrschenden Lage zu einem religiösen Zentrum wurde. Die Insel lag besonders für jene Seefahrer sehr günstig, die von Kleinasien zum griechischen Festland segelten.
Von dem griechischen Geschichtsschreiber Thukydides (etwa 460 bis 400 v.Chr.) – wir verdanken ihm das großartige Werk über den Peloponnesischen Krieg – wissen wir, dass Fischer und Piraten die ersten waren, die hier sesshaft wurden, es waren Karer aus Kleinasien. Sie errichteten die erste Siedlung, von der man Reste von 12 Hütten auf dem Kynthos gefunden hat. Ebenso entdeckte man auf der Höhe die Überreste der ältesten Kultstätte.
Einst hieß die Insel Delos "Ortygia", von griech. ortyx = Wachtel. Zu diesem Namen kam sie, weil der Göttervater Zeus – wieder einmal auf ein amouröses Abenteuer aus – die Nymphe Asteria verfolgte, die, um den Nachstellungen zu entgehen, sich zuerst in eine Wachtel und dann in einen Felsen verwandelte, der in den Fluten des Meeres versank, bald aber wieder auftauchte und so zur Insel Delos wurde. Der unersättliche Zeus fand aber auch an Leto, der Schwester Asterias, Gefallen. Lange suchte sie nach einer Zuflucht, um dem Zorn der eifersüchtigen Zeus-Gemahlin Hera zu entgehen. Endlich wurde ihr in Delos Asyl gewährt, wo sie den Apollon und dessen Schwester Artemis zur Welt brachte. Über die Geburt berichten nicht nur Homer, sondern auch Pindar (522–448 v.Chr.) und Kallimachos (um 250 v.Chr.), der Begründer der griechischen Literaturgeschichte in dem Hymnus an Delos. Die poetische Ausformung dieser Legende wird wohl geschehen sein, um die Wahl der unfruchtbaren Insel zur panhellenischen Kultstätte und zum religiösen Zentrum der Ionier im östlichen Mittelmeer zu erklären. Besonders reizvoll erzählt Kallimachos die Legende von Asteria und Leto:
Asteria war als junges Mädchen vom Himmel in die Ägäis gesprungen, um dem Werben des Göttervaters Zeus zu entrinnen, und wurde eine kleine Insel. Sie ließ sich sorglos in der Meeresströmung schaukeln, ohne dass jemand sie hätte festhalten können. Eines Tages gelang es einer schwangeren Frau, sie mit ihrer Bitte um Hilfe zum Stillstand zu bewegen. Es war Leto, die von Zeus ein Kind erwartete und deshalb von der zürnenden Hera verfolgt wurde. Asteria nahm den Zorn der eifersüchtigen Gemahlin des Zeus in Kauf und gewährte Leto Asyl. Als Gegenleistung erbot sie sich jedoch, dass das Kind, das Leto zur Welt bringen würde, sie schützen und ehren werde. Leto versprach – im Namen des noch ungeborenen Kindes (Apollon), – dass Asteria das prächtigste Heiligtum erhalten werde. Asteria blieb daraufhin im Meer stehen, vier Säulen hoben sie aus dem Meeresgrund empor. Somit hieß das Eiland Delos, was soviel wie die "Auftauchende" bedeutet.
Es gibt allerdings auch noch andere Legenden von der Entstehung der Insel. So soll Poseidon, um die Niederkunft der Leto vor Heras Blicken zu verbergen, das Meer über der Insel aufgewölbt und diese dann durch vier Pfeiler am Meeresboden befestigt haben. Das deutet darauf hin, dass sich die Insel infolge eines Seebebens aus dem Meer erhoben hat.
Tatsache ist jedenfalls, dass Delos zu einer Kultstätte Apollons und seiner Schwester Artemis und zu einem weithin berühmten Wallfahrtsort wurde. Es war neben Delphi und Olympia eines der drei panhellenischen Heiligtümer. Aber Delos war nicht nur ein religiöses Zentrum, sondern hatte auch wirtschaftliche und politische Macht in der antiken Mittelmeerwelt.
Im Archäologischen Museum auf Delos sind Tongefäße aus dem 3. Jahrtausend v.Chr. vom Kynthos zu sehen. Goldschmuck und Elfenbeinplatten aus 1400–1300 v.Chr. aus dem Artemisheiligtum sowie Skulpturen aus dem 7. und 6. Jh. v.Chr. finden sich dort ebenso wie Möbel und Hausgeräte aus hellenistischer Zeit.
Nicht weit entfernt vom Markt der Delier führt ein antiker Weg zu den Heiligtümern am Kynthos, die nicht nur griechischen Göttern geweiht waren. So finden sich auf einer Terrasse Tempel syrischer und ägyptischer Götter aus dem 2. Jh. v.Chr. Auf der Nordseite des Berges stand einst ein Heiligtum der Göttin Atargatis und des Wettergottes Hadat mit einem kleinen Theater, auf der Südseite lag das Heiligtum des Sarapis und der Isis.
Vom kleinen marmornen Hera-Tempel führt der Weg weiter hinauf zum Kynthos-Gipfel, wo sich Reste eines Tempels aus dem 3. Jh. v.Chr. erhalten haben, der dem Zeus Kynthios und der Athena Kynthia geweiht war. Das weiß man von den Scherbenfunden mit Weihinschriften aus dem 7. Jh. v.Chr.
Aufgrund der zahlreichen Funde von heute verfallenen Bauwerken sowie aus den Berichten der antiken Schriftsteller können wir die große Bedeutung ermessen, die diese einst heilige Insel hatte. In ihrer Blütezeit durfte hier kein Mensch geboren werden, es durfte auch niemand hier sterben und begraben werden. Doch die religiöse Bedeutung schwand. Geblieben sind nur die steinernen Löwen aus dem Ende des 7. Jh. v.Chr., die ihren Blick zu der Stelle richten, wo einst der heilige See lag. Neun Löwen waren es einmal. Drei sind verschwunden, einen haben sich im 17. Jh. die Venezianer geholt und beim Eingang zum Arsenal in Venedig aufgestellt.
Um die Heiligkeit der Insel begreifen zu können, darf man nicht in den Sommermonaten kommen, zu groß ist dann die Zahl der Touristen, die zwischen den Trümmern umherirren und versuchen, einen Zugang zu dem "steinernen Bilderbuch der griechischen Geschichte" zu finden.
Quelle: Manuskript K. Gratzl (gekürzt), Mythos Berg - Lexikon bedeutender Berge aus Mythologie, Kulturgeschichte und Religion", bestellbare beim Verlag Brüder Hollinek: www.hollinek.at.
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