Rund 700-mal wird in Österreich jedes Jahr die Diagnose Eierstockkrebs bzw. Ovarialkarzinom gestellt. Das bedeutet, dass eine von 80 Frauen im Lauf ihres Lebens daran erkrankt. Rund 480 Patientinnen versterben jährlich an ihrer Erkrankung. "Eine Früherkennung des Ovarialkarzinoms ist bislang noch nicht möglich", bedauerte Prof. Dr. Christian Marth, Vorstand der Universitätsklinik für Gynäkologie und Geburtshilfe an der Medizinischen Universität Innsbruck. "Auch ein jährlich durchgeführter transvaginaler Ultraschall garantiert keine frühe Tumorerkennung."
Rund 10 Prozent aller Fälle von Eierstockkrebs beruhen auf einer genetischen Mutation von BRCA1 oder BRCA2 (BReast CAncer). "Trägerinnen eines mutierten BRCA1-Gens erkranken mit einer Wahrscheinlichkeit zwischen 40 und 55 Prozent an einem Ovarialkarzinom", erläuterte Marth im Rahmen eines Pressegesprächs. "Bei Frauen mit einer Mutation an BRCA2 liegt das Risiko immer noch zwischen 10 und 20 Prozent."
Die Therapie der Wahl bei Eierstockkrebs – gleichgültig ob sporadisch oder erblich – ist die umfangreiche Tumorentfernung, bei der sämtliches, mit freiem Auge sichtbares Tumorgewebe entfernt wird. Im Anschluss daran erfolgt eine platinhältige Chemotherapie über sechs Zyklen.
Bei rund 65 Prozent der Patientinnen tritt die Erkrankung trotz optimaler Therapie nach einiger Zeit wieder auf. "Bislang konnten wir die Patientinnen dann nur erneut mit einer platinhältigen Chemotherapie – eventuell kombiniert mit einer anti-angiogenetischen Therapie – behandeln", sagte Univ.-Prof. Dr. Alexander Reinthaller von der Universitätsklinik für Gynäkologie und Geburtshilfe an der Medizinischen Universität Wien. "Nun steht uns erstmals ein völlig neues, innovatives Therapiekonzept zur Verfügung."
Mit dem ersten auf dem Markt zugelassenen PARP-Inhibitor können gezielt ausschließlich jene Patientinnen behandelt werden, die an einer erblichen Form des Ovarialkarzinoms erkrankt sind. PARP steht für Poly-(ADP-Ribose)-Polymerase und ist für die Reparatur der DNA zuständig. "Dieses Enzym erkennt defekte Stellen (Einzelstrangbrüche) in der DNA und repariert diese durch die sogenannte Basenexzisionsreparatur", erklärte Reinthaller.
Die menschliche DNA, die Erbsubstanz, ist in viele Stränge aufgeteilt, die sich ständig erneuern. Dabei kann es im Laufe der Zeit zu Brüchen in den erneuerten Strängen kommen. Das körpereigene Enzym PARP repariert diese Brüche. Bei der Krebszelle ist dieser Reparaturvorgang unerwünscht, hier setzt der PARP-Inhibitor an. "Die neue Substanz hemmt die DNA-Reparatur in der Krebszelle mit BRCA1- oder BRCA2-Mutation und es kommt zum Zelltod", erläuterte Reinthaller den Wirkmechanismus. In den gesunden Körperzellen können DNA-Brüche weiterhin normal repariert werden – das Medikament greift hier nicht ein.
Aufgrund der sehr guten Studienlage wurde der erste PARP-Inhibitor von der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA zur Behandlung von Patientinnen mit platinsensitivem rezidiviertem Eierstockkrebs und einer BRCA1 oder BRCA2-Mutation zugelassen. „Dies wird auch die Praxis in der Gentestung auf BRCA1- oder BRCA2-Mutation ändern“, sagte Prof. Dr. Christian Singer von der Klinischen Abteilung für Allgemeine Gynäkologie und Gynäkologische Onkologie an der Medizinischen Universität Wien. „Bislang wurden nur jene Frauen getestet, die ein familiäres Risiko für erblichen Eierstockkrebs aufweisen“, so Singer. „Nun wird auch Frauen, bei denen bereits ein Ovarialkarzinom diagnostiziert wurde, die Testung angeboten.“
Die Arbeitsgemeinschaft für Gynäkologische Onkologie (AGO) empfiehlt – im Einklang mit anderen nationalen und internationalen Leitlinien – die Testung für alle Patientinnen, bei denen ein epithelialer Eierstockkrebs diagnostiziert worden ist. „Vor einem solchen Test muss eine ausführliche genetische Beratung durchgeführt werden“, so Singer. „Und es obliegt stets der Patientin, ob sie dem Gentest auch tatsächlich zustimmt.“ Diese genetische Testung kann aktuell in Wien, Linz, Graz und Innsbruck durchgeführt werden.
Österreich ist eines der ersten Länder, in dem diese innovative Therapiemöglichkeit zur Verfügung steht und erweist sich damit einmal mehr als Vorreiter, was die Behandlung von Krebserkrankungen mit innovativen Medikamenten betrifft. "Das ist nicht zuletzt Studiengruppen wie der AGO zu verdanken, dass Patientinnen in Österreich rasch von einer solchen neuen, innovativen Therapieform profitieren", zeigte sich Christian Marth überzeugt. Soeben hat die AGO neue Leitlinien publiziert, die die State of the Art-Vorgehensweise für die genetische Testung und die Behandlung mit PARP-Inhibitoren bei Patientinnen mit Ovarialkarzinom festschreiben. "Damit", so Marth abschließend, "ist die personalisierte Medizin im klinischen Alltag angekommen."
Die erste Zulassung eines PARP-Inhibitors stellt ein best practice-Modell für die individualisierte Krebsbehandlung dar. Die personalisierte Medizin macht es möglich, PatientInnen in unterschiedliche Subgruppen einzuteilen, die eine bestimmte Behandlung benötigen. Therapien werden in der personalisierten Medizin auf Basis individueller Unterschiede entwickelt. Mit Hilfe von spezifischen Tests kann so prognostiziert werden, welche PatientInnen von welchen Medikamenten profitieren können.
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